Sonntag, 3. August 2008

Der Alltag hält wieder Einzug

So sehr mich Schweden, Finnland und Tobias' Wanderungen durch diese Länder auch faszinierten, irgendwann dominierte diese Thematik nicht mehr mein Denken und Handeln. Der Alltag forderte seinen Tribut. Die Fotos, welche ich ihm längst zurückgegeben hatte, hatten natürlich ihre Wirkung auf mich nicht verfehlt, blieben also zum Teil auch in meinem Gedächtnis haften und natürlich kamen wir ab und an noch mal darauf zu sprechen. Aber vordergründig war dieses Thema nicht mehr. Der kleinste Anstoß allerdings - mitunter bewusst gesetzt - genügte, um unser beider Bedürfnis nach einem derartigen Gespräch wieder für kurze Zeit zu befriedigen. Und es gab andere Themen mit ähnlicher Problematik.
Ich erinnere mich zum Beispiel noch sehr gut und gerne an ein längeres Gespräch, welches ich mit Tobi führte, als wir am 06.02.07 gemeinsam auf Tour zu einem Kundeneinsatz waren. Die Strecke war – Anfahrt und Abreise zusammen genommen - mit etwa 700km relativ lang und die Zeit damit ausreichend, um ausgiebig zu diskutieren.
„Wo kommst Du eigentlich her?" fragte ich ihn mal ganz unvermittelt und unternahm damit den Versuch, in ein ganz zwangloses Gespräch einzusteigen. Ich wusste aus früheren Gesprächen, dass er oft in Bayern ist. „Du fährst ab und an nach Bayern. Stammst Du von da?" „Nein, nein - ich bin gebürtiger Schwabe aber meine Oma wohnt da und meine Mutter stammt aus dem bayrischen. Irgendwann hat sie da mal meinen Vater getroffen. Sie haben sich da halt näher kennengelernt und irgendwie hat's zwischen den beiden dann mal gefunkt…." Lachend beginnt Tobias, mir ein Stück seiner „Entstehungsgeschichte" zu erzählen. Warum er und seine Familie im Schwabenland geblieben sind, dass er noch weitere Geschwister hat und einiges mehr. Seine Erzählungen kamen dabei in einer solch angenehmen Art rüber, dass er seine innige Beziehung zu diesen Dingen gar nicht besser hätte zum Ausdruck bringen können. Es scheint ihm ein sehr starkes Gefühl der Verbundenheit mit alledem eigen zu sein. Und er erzählte mir auch, dass es ihm enorm wichtig ist, die Verbindung nach Bayern nicht zu verlieren. Also schon eine Gegend, die es im wahrsten Sinne des Wortes in sich hat. Ich kann ihn verstehen, dass es ihn dahin zieht. Er nutzt halt jede Gelegenheit, um ab und an mit Kumpels aber auch mal alleine da runter zu fahren, um in den Bergen zu wandern und in der entsprechenden Jahreszeit auch Ski zu fahren - ganz alleine teilweise - ganz einfach um auszuspannen.
Und dann erfolgte ein Ausspruch von ihm, den ich bis heute nicht mehr vergessen habe. „Weißt du - es gibt nichts schöneres, als irgendwo draußen in der Natur alleine zu sein. Vielleicht in der Abenddämmerung auf einem Felsvorsprung zu sitzen und einfach nur auf einen See hinausschauen. Dabei kannst du deinen Gedanken freien Lauf lassen. Keiner stört dich, keiner quatscht dich irgendwie voll - du bist einfach du und mit dir alleine und zufrieden." In dem Moment war ich total perplex und sprachlos und der Gedanke an den Sinn dieser Aussage ließ mir einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Hatte er doch damit etwas ausgesprochen, was mein ureigenstes Gefühlsleben, mein eigenes Denken über das Thema Natur, meinen seit der Jugend innigsten Wunsch nach Freiheit, Ausgeglichenheit und teilweise Einsamkeit gar nicht besser hätte ausdrücken können. Tobias hatte wohl gemerkt, dass ich auf Grund dieser Aussage etwas neben der Kappe war und fragte mich nur „was ist los?" Ich hab ihn nur mit einem etwas verklärten Blick angeschaut und dann so was gestammelt wie „Bist du dir eigentlich im Klaren, was du da eben gesagt hast?" Er musste schmunzeln - klar - woher sollte er auch wissen, was dieser Satz in mir ausgelöst hatte. Hatte ihm ja vorher nie davon erzählt. „Logisch… - bin voll Herr meiner Sinne. Glaub' mir, es gibt nix schöneres." Er gibt mir dabei, als wollte er seine Aussage damit noch mal bekräftigen, mit der Handfläche einen kumpelhaften leichten Schlag auf den Oberschenkel.
Ich hatte ja bis dato solche Aussagen schon mehrfach gehört. Aber - ohne das jetzt irgendwie abwerten zu wollen - eigentlich nur von der älteren Generation. Dort erschien mir das auch verständlich, dass nach arbeitsreichem Leben einfach der Wunsch präsent war, durch diese Art zu leben einfach von allem abzuschalten, auszuspannen. Aber von einem Menschen in seinem Alter so etwas zu hören - es fiel mir schwer, das zu verstehen. Obwohl meine Interessen in der Jugendzeit in die gleiche Richtung gingen, erschien es mir einfach nicht normal, dass ein junger Mensch sich in der heutigen Zeit in Einsamkeit wohlfühlt.

Und ich spürte aber auch, wie in mir auf Grund dieser Gemeinsamkeit nicht zum ersten Mal dieses Gefühl der Zuneigung zu ihm aufkam und sich der Wunsch verstärkte, diese Interessen irgendwann ein Stück weit mit ihm gemeinsam auszuleben. Wie aber macht man auf Grundlage des real existierenden Altersunterschiedes einem wesentlich jüngern Menschen klar, dass man Zuneigung zu ihm empfindet, ohne ihn total zu irritieren? Ich musste ja damit rechnen, dass Tobias mich hier gründlich missversteht. Aber es ist einfach der Wunsch, ihm verständlich zu machen, dass ich Interesse daran habe, mit ihm gemeinsam etwas zu unternehmen, etwas auszuleben, wonach wir beide gleiches Verlangen haben.
Lange haben wir auf dieser Fahrt noch über verschiedene Themen gesprochen, wobei ich immer wieder versuchte, zu verbergen, wie groß mein Verlangen nach gemeinsam Unternehmungen mit ihm zu dem Zeitpunkt schon war und ich mir nur zu gut vorstellen konnte, wie gigantisch diese Wanderungen mit ihm hätten sein können. Trotz allem habe ich es nicht geschafft, ihm offen zu sagen, was sich da in mir aufbaut. Warum bin ich trotz meines reifen Alters mitunter so ein Feigling? Es sollte doch eigentlich nichts Natürlicheres geben, als einem Menschen, den man mag, auch zu sagen, was man denkt und fühlt.
Andererseits wurde mir im Laufe dieser Unterhaltung aber auch verständlich, wo dieses Verhalten von ihm seine Ursachen hatte. Seit Kindheit und Jugend hatte er sehr viel diesbezüglich erlebt - Wanderungen mit der Familie, seine Zeit bei den Pfadfindern, welche eigentlich in jedem, der das einmal erlebt hat, in dieser Richtung bleibende Eindrücke hinterlässt. Er ist also mit der Natur aufgewachsen. Wen wundert's da noch, dass er heute ein derartiges Verlangen hat.

Monate später sollte es dann noch ein weiteres Erlebnis dieser Art geben.
Um die Mittagszeit - die anderen Kollegen waren fast alle abwesend - komme ich zu Tobi in's Büro und sehe, wie er sich mit geschlossen Augen in seinem Bürostuhl zurückgelehnt hat. Eigentlich nichts Außergewöhnliches - wir alle in der Firma versuchen mitunter auf diese Art, kleine Pausen zum relaxen in den Arbeitsablauf einzubauen. Er bemerkte mich nicht. Was ich allerdings hörte, ließ mich einmal mehr nachdenklich werden. Tobi setzte doch tatsächlich eine Musik zum entspannen ein, welche mich gedanklich schlagartig wieder in eine andere Welt versetzte. Aus seinen Boxen, welche am PC angeschlossen waren, drangen Melodien schottischer Dudelsackpfeifer. „Hawks and Eagles" und so Sachen hatte er sich auf eine CD gebrannt und ließ sich damit sichtlich genießend berieseln.
„Das glaub ich jetzt echt nicht…". Mit diesen bewusst etwas übertrieben und erstaunt intonierten Worten sprach ich ihn einfach an, worauf er natürlich, da er mich ja vorher nicht gehört hatte, leicht aufschreckte. „Was?" Sein fragender Blick verriet, dass er offensichtlich die Situation noch gar nicht richtig erfasst hatte. „Du und schottische Dudelsackpfeifer? Mann - du wirst mir immer sympathischer. Jetzt brauchste mir nur noch erzählen, dass du in der Freizeit nen Schottenrock trägst und Guinness deine Lieblings-Biersorte ist." - versuchte ich ihn weiter aus der Reserve zu locken. Tobi konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen. „Nee - Guinness ist nicht so mein Fall. Ein Kilkenny schon eher. Aber ich halt mich meist am Becks fest. Aber ab und an mal in nen Pub – ist schon was Geiles. Gibt´s bei uns nen guten." Schlagartig war mein Stimmungs-Barometer auf hoch eingepegelt und wir hatten mal wieder ein interessantes Gesprächsthema.

Keine Kommentare: