Sonntag, 10. August 2008

Auf nach Västervik

Entsprechend dem späten Ende des Vortages verlief dann auch der nächste Morgen etwas hektisch.
Auf 06:00 Uhr hatte ich den Wecker meines Handys eingestellt. Wohl wissend, dass wir dann doch noch mindesten 15 – 20 Minuten brauchen würden, um aus dem Bett zu kommen. Etwas mehr als 4 Stunden Schlaf sind eben nicht grade die Masse.
Aber viel war ja nicht zu tun. Die übliche Morgen-Hygiene war schnell erledigt, wohl auch deshalb, weil schon mal das rasieren weg fiel. Wir hatten uns vorgenommen, uns die gesamten drei Wochen nicht zu rasieren. Wenn schon Landstreicher, dann richtig :-)Und unsere paar Habseligkeiten waren schnell wieder in den Rucksack gepackt. Das Abziehen der Betten überließen wir ganz frech dem Personal und Frühstück gabs unterwegs.
Um 07:30 Uhr waren wir dann soweit, unser Hotel zu verlassen, quälten uns halb auf Knien mit unseren schweren Rucksäcken wieder besagte Wendeltreppe hinauf und standen erst mal im Regen. Den Ausspruch, den wir in diesem Moment beide auf den Lippen hatten, verkneife ich mir hier :-). Wir mussten aber auch los. Uns saß die Zeit im Nacken und wir wollten unbedingt unseren Zug noch erreichen.

Manchmal kommts aber doch alles ganz anders als man sich das so vorgestellt hatte.
Die Strecke zum Bahnhof war ja bekannt und trotz dass wir auch an diesem Morgen noch einen kleinen Umweg liefen, waren wir nach etwa 25 Minuten in der Bahnhofshalle, hatten also dann noch etwa eine halbe Stunde, um uns die Fahrkarten zu besorgen und den Bahnsteig ausfindig zu machen, von welchem aus uns unser Zug nach Süden bringen sollte. Die Zugverbindung nach Västervik hatte ich ja schon daheim aus dem WEB gezogen. Geplant war, um 08:20 Uhr ab Centralstation zu fahren. Wir hatten wohl noch andere Alternativen, aber diese wäre eine günstige, durchgängige Verbindung gewesen und wir wären um 11:50 Uhr in Västervik angekommen.

ResPlus Verbindungen Stockholm-Västervik

Grundsätzlich hätte die Zeit also gereicht. Nur hatten wir nicht damit gerechnet, dass viele Schweden neben ihrer schier unerschöpflichen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft viele Dinge auch ganz gelassen angehen. Hektik ist ihnen ein Fremdwort. Gut 20, vielleicht 30 Menschen befanden sich im Reisezentrum. Und es mochten wohl so an die zehn Schalter gewesen sein, wovon aber nicht alle besetzt waren. Ich suchte mir also nach guter deutscher Gewohnheit einen der Schalter aus, wo ich vermutete, schnellstmöglich abgefertigt zu werden. 2 Reisende standen noch vor mir. Ich hatte meinen Rucksack abgeschnallt und mich da auf einem der unbesetzten Hocker niedergelassen, wartend, dass ich als vermeintlich dritter an diesem Schalter dann unsere Fahrkarten kaufen konnte. Erst nach etwa 10 Minuten Wartezeit kam Tobi zu mir und verwies mit einer leichten Kopfbewegung auf eine Anzeigetafel. „Du - ich glaub´, hier kannste dich gar nicht so einfach anstellen. Da musste ne Nummer ziehen.“ Ich schaute kurz in die vorgegeben Richtung. Mir war beim Eintreten diese Anzeigetafel gar nicht aufgefallen. Tatsächlich war hier ein System integriert, wie wir es aus Deutschland – vor allem aus Ämtern jeder Art – auch kannten. Also bin ich noch kurz zum Automat, holte mir meine Nummer und wurde erst mal etwas blass. Auf der Anzeigetafel blinkte in großen roten Ziffern eine Zahl so um 680. Genau weiss ich es nicht mehr. Unser Ticket aber wiess eindeutig die Zahl 730 aus. „Na dann – 8:20-Zug in den Süden – ade.“ Uns war nicht mal mehr vergönnt, auch nur die Rücklichter unseres geplanten Zuges in der Ferne verschwinden zu sehen.

Aber was solls. Ärgern hätte uns hier nicht weiter gebracht und so nutzen wir lieber die nun gewonnene Zeit, uns noch eimal über die nächste Fahrmöglichkeit und vor allem die notwendigen Umstiege zu informieren. Unser Plan, den ich in gedruckter Form vor mir ausgebreitet hatte, gab uns als nächste Möglichkeit einen Zug um 08:45 an. Das wäre ja auch weniger schlimm gewesen, wenn wir nicht auf Grund dessen etwa 60 km Umweg hätten fahren müssen. Dieser Zug fuhr in Richtung Malmö und nicht direkt nach Västervik. Wir mussten also in Linköping umsteigen. Und von da sollte es dann weiter gehen bis Västervik, der geplanten Endstation der Zugfahrt und Ausgangspunkt unserer Wanderung. Allerdings sollte uns dadurch auch zeitlich ein Mehraufwand von etwa 2 Stunden entstehen.
Die Abfertigung an den einzelnen Schaltern ging aber dann doch relativ zügig voran. Auch wurden bei weitem nicht alle gezogenen Nummern abgearbeitet. Mancher Fahrgast hatte wohl das Reisezentrum unverrichteter Dinge schon wieder verlassen. Es gab ja auch noch die Fahrkartenautomaten. So gegen 08:20 Uhr etwa war ich dann an der Reihe und konnte dem Angestellten meinen Reisewunsch äussern. Dass ich, trotzdem der gesamte Dialog ausschliesslich in englischer Sprache geführt wurde, dann doch die richtigen Fahrkarten in der Hand hielt, darauf bin ich heute noch stolz. Tobi ging sogar noch als Student durch. Und das ohne Vorlage eines Ausweises ausschliesslich durch abfragen des Alters und auf Vertrauensbasis und er konnte sich über eine nicht geringe Fahrpreisermäßigung freuen. Eigenartig – in solchen Situationen kann ich nicht anders, als unwillkürlich immer wieder Vergleiche mit ähnlichen Situationen in Deutschland anzustellen. Eine solche unbürokratische Verfahrensweise wäre bei uns undenkbar. Man hätte uns hier, ohne mit der Wimper zu zucken, zwei mal den vollen Fahrpreis berechnet. Selber schuld, wer sich nicht vorher eingehend informiert und dann Veto einlegt. Wozu waren bei uns nochmal die 5 Euro Beratungsgebühr zu zahlen?
Eines allerdings störte auch an der schwedischen Verfahrensweise des Fahrkartenverkaufs. Ich hatte ja schon erwähnt, dass die Schweden so gut wie keine Hektik kennen. Und das ließ uns der Bahnbeamte natürlich – unbewusst – auch spüren. So schnell, wie er sein Computer-System mit der Maus steuerte, lag die Vermutung nahe, dass sich sein Gehalt wohl kaum am Umsatz orientierte. Aber das konnte uns alles gleichgültig sein. Wir hielten jedenfalls gegen 08:30 dann die Fahrkarten in den Händen und konnten uns zum entsprechenden Bahnsteig begeben.
Die Fahrt sollte also mit dem Schnellzug (vergleichbar mit unserem Intercity) der Bahngesellschaft ResPlus von Stockholm bis Linköping und von da mit Veolia-Transport, einem Unternehmen der Connex-Gruppe weiter nach Västervik gehen. Das uns für beide Transportmittel jeweils getrennte Fahrkarten übergeben wurden, war ungewohnt und wir stellten uns die Frage, was es denn mit diesem Veolia-Transport auf sich hatte. Es war auch nicht ersichtlich, ob es sich hier um einen weiteren Anschluss-Zug handelte oder ob wir ab Linköping mit dem Bus weiter mussten. Das würden wir dann in Linköping am Bahnhof erfragen müssen.
Die Preise waren gegenüber den in Deutschlad üblichen sehr moderat. Zusammen umgerechnet etwa 80 Euro für eine cirka 300km lange Strecke sind wirklich nicht zu viel. Der Komfort in den Zügen ist trotz allem entsprechend hoch, auch wenn er nicht unmittelbar mit deutschem Standard verglichen werden kann. Von den Fahreigenschaften und der Geschwindigkeit her entspricht der schwedische Schnellzug allerdings mehr unseren Regionalzügen. Die niedrigere Geschwindigkeit ist wohl den landschaftlichen Gegebenheiten geschuldet. Die Strecken lassen oftmals gar keine 120 km/h oder mehr zu. Und da wir auf Grund dessen, dass der Zug hoffnungslos überfüllt war, weder unsere Rucksäcke in einem Gepäckfach ablegen konnten noch die Spur einer Chance hatten, einen Sitzplatz zu erhalten, mussten wir wohl oder übel die Tour bis Linköping stehend auf der Durchgangsplattform zwischen zwei Waggons verbringen. Der Lärmpegel und die uns ab und zu, wenn ein Fahrgast den Durchgang passierte, in den Rücken stoßende Abteiltür trugen auch nicht grade zur Erhöhung des Fahrkomforts bei.
Dafür entschädigte uns aber der Blick über eine jetzt schon schöne Landschaft, auch wenn der Regen im Verlauf der Fahrt noch leicht zunahm und erst kurz vor Einfahrt in Linköping aufhörte. Die Strecke führte über Norrköping unter anderem vorbei an den riesigen Produktionsstätten von Scania, wo übrigens neben den auch in Deutschland bekannten LKW auch Kriegstechnik und ganz normale Haushalttechnik wie Fernsehgeräte usw. produziert werden. Das hatte ich bis dato auch nicht gewusst. Schweden und Kriegstechnik – so wie ich die Schweden bisher kennenlernen durfte, war das für mich eine gar nicht passen wollende Kombination.

Wir hatten uns zur Sicherheit noch rechtzeitig beim Zugbegleiter erkundigt, wann wir den Umsteige-Bahnhof Linköping erreichen würden. Auf den Fahrkarten waren jeweils nur die Abfahrtszeiten vermerkt und wir wollten hier kein Risiko eingehen. Ausserdem war es bei unserem schweren Gepäck doch sicherer, dass wir uns rechtzeitig auf das Aus- und Umsteigen vorbereiteten. Gegen 11:10 Uhr sollte der Zug dort ankommen. Wenn man einmal die ursprünglich geplante Ankunftszeit in Västervik (11:50 Uhr) dagegen stellt, lässt sich schon erahnen, dass der Zeitverlust auf Grund des späteren Zuges doch erheblich war. Aber das war zu verkraften, zumal unser Zug fast pünktlich in Linköping einfuhr.
Hier sollten wir dann auch erfahren, was es mit diesem Veolia-Transport auf sich hatte. Wir hatten uns erst in der Annahme, mit dem Bus weiter zu müssen, an den Busplatz begeben, welcher sich unmittelbar vor dem Bahnhofsgebäude befand. Da aber werder von den elektronischen Anzeigetafeln noch aus den Aushangfahrplänen ersichtlich war, dass einer der Busse nach Västervik fahren würde, begab ich mich in eines der Fahrzeuge, um den Fahrer zu befragen. Eine jüngere Frau im Bus hatte wohl meine Frage mitgehört und antwortete, noch bevor der etwas unschlüssig blickende Fahrer dazu ansetzte, in feinstem englisch. Sie konnte mir also nicht nur gut verständlich machen, dass es sich bei unserem weiterführenden Transportmittel um einen Zug handelte, sonder gab mir auch gleich noch detaillierte Hinweise, wie wir zum entsprechenden Bahnsteig finden würden. Ihr herrliches Lächeln brachte dabei so richtig zum Ausdruck, dass es ihr eine Freude war, uns geholfen zu haben. Hätte schon gerne noch länger einen kleinen Smal-Talk mit ihr geführt, wenn nicht schon wieder die Abfahrtszeit unseres Anschlusszuges uns davon abgehalten hätte. So blieb mir leider nichts anderes, als mich so herzlich als irgend möglich bei ihr zu bedanken. Sie hats, glaube ich, auch so aufgenommen.
Und wir zogen unseren Weg weiter in die von der jungen Dame angewiesene Richtung zum Bahnsteig. Dort wartete auch schon unser Veolia-„Express“. Das war nix anderes als ein dieselgetriebener Schienenbus, wie er auch unter anderem in Deutschland auf weniger befahrenen Nebenstrecken eingesetzt wird.

unser Schienenbus von Veolia, hier bei Ankunft in Västervik

Mit nur ein paar Fahrgästen besetzt und personalmäßig außer dem Fahrer mit einer hübschen Zugbegleiterin ausgestattet, tuckerte das Gafährt, so quasi an jedem Briefkasten anhaltend, seiner Wege und brachte uns in knapp 2 Stunden bis nach Västervik.
Wir hatten fast die freie Auswahl, wo wir sitzen wollten und auch das Abstellen unserer Rucksäcke stellte gar kein Problem dar. Obwohl dafür eigentlich gar kein genau definierter Platz vorgesehen war, wurden wir kurz angehalten, diese doch bitte im hinteren Teil des Fahrzeuges abzustellen, auch wenn dadurch die hintere Eingangstür fast verstellt wurde. Die Fahrgäste wurden höflich gebeten und darauf hingewiesen, doch bitte zum Aussteigen nur die vordere Tür zu benutzen. Unkomplizierter ging es nicht mehr.
Sehr sauber war es da drin und ich traute meinen Augen und Ohren kaum, als eine der weiblichen Fahrgäste sogar einen Kaffee bestellte. Was uns beim Einsteigen gar nicht aufgefallen war, waren zwei große Pump-Thermoskannen, welche im Fahrgastraum unmittelbar neben der Tür zum Führerstand auf dem Boden standen und mit deren Hilfe der Wunsch der Dame umgehend erfüllt wurde. Man arbeitet hier eben selbst in so kleinen Fahrzeugen unglaublich freundlich, kunden-und serviceorientiert. Tobi bekam von alledem allerdings fast nichts mehr mit. Er war, kurz nachdem das Vehikel seine Fahrt aufgenommen hatte, eingeschlafen. Der wenige Schlaf der Tage vorher sollte aber auch bei mir dafür sorgen, dass mir auf dieser Strecke mehrfach die Augen zu fielen, obgleich ich keinen festen Schlaf finden konnte. Was unser Gepäck betraf, hatte ich nicht ein einziges mal die Befürchtung, dass damit unrechtes geschehen könnte, obwohl wir zeitweise beide schliefen und dieses während der gesamten Fahrt ausserhalb unseres Sichtfeldes war. Es bestätigte sich wieder einmal die Aussage, welche Tobi schon bei seine ersten Reiseerzählungen gemacht hatte, dass es in Schweden zumindest in ländlichen Gebieten kaum jemanden interessiert, wenn herrenlos irgendwo etwas abgestellt wird. Es käme niemand auch nur ansatzweise auf die Idee, irgend etwas wegznehmen. Wenn sich diesbezüglich in Schweden jemand etwas zu schulden kommen liese, wäre derjenige auf lange Zeit unbeliebt und geächtet.

Strahlender Sonnenschein und wirklich sommerliche Temperaturen empfingen uns in Västervik. Dieses Wetter war nicht im geringsten mit dem zu vergleichen, welches wir auf der Zugfahrt von Stockholm nach Linköping haben erleben müssen und auf welcher wir schon leise Zweifel hegten, ob sich das in den nächsten Stunden noch ändert. Ein verregneter Urlaubsbeginn wäre absolut nicht das gewesen, was man sich wünscht. Aber ganz im Gegenteil - herrlich warm war es hier. Nicht zu heiß. Das hätte das ganze gleich wieder ins Gegenteil gekehrt und ist ebenso nicht das, was wir beide brauchen konnten. Und angenehm windig wars, da wir uns ja jetzt schon unmittelbar in Ostseenähe befanden. Also Urlaubswetter vom feinsten.
Wir konnten also nun endlich die Tätigkeit aufnehmen, weswegen wir eigentlich nach Schweden gekommen waren - wandern. Bevor es aber losgehen konnte, musste noch eine kleine Hürde genommen werden. Da wir aufgrund der extremen Sicherheitsbestimmungen im Flugverkehr keinerlei brennbare Flüssigkeiten bei uns führen durften, mussten wir unseren Vorrat an Bezin für den Campingkocher vor Ort noch auffüllen. Der Weg vom Bahnhof in den Ort war mit etwa 2km nicht so lang, dennoch hatten wir aber noch keine Tankstelle entdeckt. Uns blieb nichts anderes, als uns durchzufragen, was letztlich auch nicht mehr erbrachte, als den Hinweis auf ein sich im Ortsmittelpunkt befindendes Touristen-Informations-Büro. Dort allerdings konnte man uns dann entsprechende Auskunft erteilen.

Ob das was wird?

Die einzige Tanstelle in diesem Stadtgebiet waren 2 Säulen im Hafengebiet und wurden offensichtlich auch genutzt, um die zahlreich vorhandenen kleinen Boote, welche hier festgemacht waren, zu betanken.

..eines der wichtigsten Verkehrsmittel in Schweden....

Nun sind aber diese kleinen – und wie sich später herausstellen sollte – auch manche größere Tankstelle nicht ganztägig mit Personal besetzt. Diese kleine Einrichtung hier machte jedenfalls auch den Eindruck, als hätte Sie menschliches Personal seit Tagen nicht gesehen. Es gibt allerdings an ausnahmslos jeder Tankstelle die Möglichkeit, den Tankautomaten zu benutzen und mit Kreditkarte zu bezahlen. Wenn er denn funktioniert! Die rund 1,5 Liter Benzin, welche wir fürs erste für den Kocher und die Reserveflasche benötigten, haben jedenfalls einen etwas grösseren Kampf gekostet. Den Automaten soweit zu bringen, dass er eine unserer Kreditkarten akzeptierte, hat ein paar Nerven gekostet. Aber was wollten wir tun? Diese Automaten sind so eingerichtet, dass erst eine Karte akzeptiert werden muss, dann die Säule definiert wird und dann kann man seinen Sprit zapfen. Danach wird die Karte wieder gelesen, die Säule nochmals angegeben, der Wert gebucht und der Bon gedruckt. Bei einem fast defekten Kartenleser ein reines Roulettspiel. Keine Ahnung, wie viele Fehlversuche ins Land gingen, bis wir endlich unsere Behältnisse aufgefüllt hatten und losziehen konnten.

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